Neue EU-Verordnungen für Medizinprodukte: „KMU und Startups werden die erhöhten Anforderungen schwer erfüllen können.“

Im Interview mit Leibniz Gesundheitstechnologien erläutert die Fachanwältin für Medizinrecht Dr. Ulrike Brucklacher, welche Auswirkungen die neuen EU-Verordnungen MDR und IVDR für die Zulassung von Medizinprodukten haben.

Zwei wichtige neue EU-Verordnungen zu Medizinprodukten sind am 25.05.2017 in Kraft getreten: Die Medical Device Regulation (MDR, Medizinprodukte-Verordnung) und die EU-Verordnung über In-Vitro-Diagnostika (IVDR). Im Gespräch mit Leibniz Gesundheitstechnologien erläutert Dr. Ulrike Brucklacher, Fachanwältin für Medizinrecht bei VOELKER & Partner, welche Auswirkungen die neuen Verordnungen für die Zulassung von Medizinprodukten haben. Die MDR und die IVDR sind Ende Mai in Kraft getreten. Was regeln diese beiden neuen EU-Verordnungen? Ulrike Brucklacher: Aufgrund des Brustimplantateskandals 2010 hat sich der europäische Gesetzgeber veranlasst gesehen, das Regelungswerk für Medizinprodukte komplett zu überarbeiten. Bislang wurde das Medizinprodukterecht durch drei europäische Richtlinien geregelt, welche dann noch in den jeweiligen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden mussten. Hier hat der europäische Gesetzgeber einen Paradigmenwechsel vollzogen: Durch die beiden neuen EU-Verordnungen wird das Medizinprodukterecht unmittelbar, d.h. ohne weiteren nationalen Umsetzungsakt, verbindlich für alle EU-Bürger geregelt. Das betrifft den gesamten Regelungsbereich von der Klassifizierung und Zertifizierung von Medizinprodukten bis hin zur Inbetriebnahme und dem Inverkehrbringen. Ebenso umfasst sind auch klinische Prüfungen, aber auch die Überwachung nach dem Inverkehrbringen sowie die Marktüberwachungsregelungen. Nach Übergangsfristen von drei bzw. fünf Jahren gelten die Regelungen im gesamten europäischen Wirtschaftsraum. Wie wirkt sich dieses neue Regelwerk konkret auf die EU-Staaten und insbesondere Deutschland aus? Inwiefern können auch zusätzliche nationale Regelungen erlassen werden?

Nach meiner Einschätzung werden die neuen EU-Verordnungen das nationale Recht in großen Teilen ablösen. Lediglich für einige Teilbereiche verbleibt noch Raum für nationale Gesetzgebung, so z.B. für die Medizinprodukte-Betreiberverordnung oder die Strafvorschriften, die im Zusammenhang mit medizinprodukterechtlichen Regelungen stehen. Auch verbleibt bislang natürlich noch das gesamte Krankenversicherungssystem in nationaler Hand. Erstattungsfragen für Medizinprodukte werden sich somit auch weiterhin die nach deutschem Recht richten.

Der Bundesverband Medizintechnologie hat kritisiert, dass die beiden Verordnungen besonders für KMUs eine erhebliche Mehrbelastung bedeuten. Wie schätzen Sie den Aufwand bei der praktischen Umsetzung der neuen Regelungen ein?

 Die neuen EU-Verordnungen sehen eine Vielzahl von neuen Dokumentations- und Nachweispflichten vor. So sollen Informationen sowohl über die Medizinproduktehersteller als auch die Produkte in einer großen Datenbank (Eudamed) gesammelt werden. Auch soll ein System der Rückverfolgbarkeit jedes einzelnen Produktes eingeführt werden (UDI). Zudem werden – und dies sind die Folgen aus dem Brustimplantateskandal – die Anforderungen in Bezug auf die Zertifizierung erhöht. So werden deutlich höhere Anforderungen an die klinische Bewertung bzw. die Durchführung von klinischen Prüfungen gestellt.

Aber auch die von den Unternehmen zu erfüllenden Anforderungen im Bereich der Nachmarktkontrolle werden erhöht: Durch die Unternehmen sind deutlich mehr Berichte und Nachweise zu erstellen. Dies setzt eine gewisse Manpower im Unternehmen voraus, die letztlich Kosten auslösen wird. Auch wurden die Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten durch benannte Stellen und die zuständigen Behörden erhöht. Wir erwarten daher einen erheblichen Aufwand für die Unternehmen. Insbesondere werden deutlich mehr Experten am Markt gefragt sein, die sich mit regulatorischen Fragestellungen im Medizinproduktebereich auskennen. Für kleine und mittlere Unternehmen aber auch Startups erwarten wir, dass diese die steigenden Anforderungen schwer erfüllen können. Es wird also voraussichtlich verstärkt zu Übernahmen durch etablierte Unternehmen kommen, die das erforderliche Know-how und die Manpower vorhalten können.

Besteht die Gefahr, dass durch die neuen Verordnungen lebensrettende Medizinprodukte gar nicht auf den Markt kommen?

Die Gefahr, dass lebensrettende Medizinprodukte gar nicht auf den Markt kommen, sehe ich nicht. Allerdings kann es sein, dass es zu zeitlichen Verzögerungen im Vergleich zu bisher kommt, da beispielsweise in verstärktem Maße die Durchführung von klinischen Prüfungen mit den Produkten vor Marktzulassung gefordert werden wird. Dies dient jedoch letztlich auch der Sicherheit der Patienten

Welche konkreten Zusatzregelungen könnten in Deutschland getroffen werden, um KMUs zu entlasten und eine vereinfachte Zulassung zu ermöglichen?

Generell sehen wir in Deutschland die Problematik, dass zwar viel Forschungsunterstützung erfolgt, um gute Ideen zu entwickeln und voranzubringen. Geht es dann jedoch um die konkrete Zulassung von Medizinprodukten oder gar darum, eine Erstattungsfähigkeit von Krankenkassen zu erlangen, sind die jungen Unternehmen häufig auf sich allein gestellt. Dies ist besonders misslich, wenn es sich um innovative Medizinprodukte handelt, die zunächst mit der Unterstützung von Steuermitteln entwickelt worden sind.

Häufig vergehen viele Jahre, ehe die Zertifizierung und erst recht eine Erstattungsfähigkeit bei den gesetzlichen Krankenkassen erlangt werden kann. Hier kann zum einen natürlich eine weitere finanzielle Unterstützung helfen. Zum anderen würde es den kleinen und mittleren Unternehmen häufig jedoch auch helfen, professionelle Beratung und Unterstützung auf dem Weg zur Zertifizierung zu erhalten. In Hinblick auf regulatorische und rechtlichen Rahmenbedingungen besteht da oft noch viel Aufklärungsbedarf.